Es muss nicht schwer sein
Am Anfang steht ein Verlust oder eine Krise. Man nennt sie auch Life Events: Vorfälle, die allen von uns früher oder später blühen, gute wie schlechte. Manche davon werfen uns aus der Bahn, je nachdem, wie resilient wir sind. Und wenn wir sie durchstehen, machen sie uns widerstandsfähiger und im besten Falle lebensbejahender.
Stell dir vor, du bist 52 Jahre alt und deine Tochter ist gerade ausgezogen. Du sitzt abends allein am Küchentisch, starrst auf die leeren Teller und fragst dich: „Wer bin ich eigentlich ohne meine Mutterrolle?“ Die Stille im Haus fühlt sich plötzlich bedrohlich an. Oder du bist 48 und nach 20 Jahren Ehe plötzlich geschieden – das Bett fühlt sich riesig und kalt an, und du weißt nicht, wie du allein schlafen sollst.
Ob du gerade etwas durchmachst oder auch nicht, ich möchte, dass du weißt:
Hilfe zu bekommen bedeutet nicht, dass du „kaputt“ bist. Es bedeutet, dass du stark genug bist, um zu wachsen. Es mag sich gerade nicht so anfühlen, aber deine Bereitschaft, hinzugucken, wird dich stärker machen als zuvor.
Geschmeidiger zu zweit
Wenn du in der Lage bist, genau dann um Hilfe zu bitten, steht dir jemand zur Seite, und du bist in der Krise nicht allein.
In meinem Fall war es ein Todesfall, der mich tief erschüttert hat, als ich die Hilfe einer Therapeutin suchte. Ich begann diese Therapie, nicht als letzten Ausweg, sondern als Begleitung. Und was als Reaktion auf eine Krise begann, wurde die Grundlage meiner jetzigen Arbeit – neben der Yogaphilosophie.
Yoga hatte mir schon lange gezeigt, dass unsere Gefühle wie Wellen kommen und gehen. Wenn ich auf meiner Matte saß, spürte ich, wie sich meine Brust eng anfühlt – als würde jemand auf meiner Brust sitzen – mit einer bewussten Atempraxis habe ich wieder atmen können. Der Atem wird zum Anker, wenn die Gedanken wie ein Karussell kreisen und ich den Stopp-Knopf nicht finde. Diese Erfahrung aus der Yoga-Praxis half mir zu verstehen: Auch in der Therapie geht es darum, zu spüren, was da ist, runter zu drücken.
Starke Menschen bitten nicht um Hilfe!
Vorher war ich davon überzeugt, dass starke Menschen ihre Probleme selbst lösen. Ich würde das schaffen, alles andere würde mich abhängig von anderen machen, ich wäre nicht mehr „frei“. Ich hatte gelernt, dass man sich zusammenreißt, nicht darüber redet. Das ist, wie ich heute weiß, ein generationales Thema aus Krieg und Nachkriegszeit. So wurde ich erzogen. Schwäche einzugestehen würde sich wie Verrat anfühlen.
An wem eigentlich?
Vielleicht kennst du das auch: Du stehst morgens vor dem Spiegel und sagst dir: „Reiß dich zusammen!“ Du schluckst die Tränen runter, setzt dein Lächeln auf und gehst zur Arbeit, als wäre nichts. Dabei spürst du diese bleierne Müdigkeit in den Gliedern, die sich auch nach dem dritten Kaffee nicht wegspülen lässt.
Ich dachte, ich müsste nur hart mit mir ins Gericht gehen, um wieder das Gefühl von „Boden unter den Füßen“ zu bekommen.
Aber das passierte nicht – im Gegenteil, es wurde schlimmer: meine Migräne, die Rückenschmerzen, ich versuchte mich mit Filmen und Serien abzulenken und trank öfter Bier oder Wein, um mich zu betäuben. Ein Marathon hat mich zwar aus der Tiefe geholt, mental war ich wieder stärker. Aber etwas später hat mich das Gewicht, vor dem ich weglaufen wollte, in die Knie gezwungen: doppelte Bandscheibenvorfälle.
Wahre Stärke ist Mut, um Hilfe zu bitten
Was ich heute gut verstehe ist, dass wahre Stärke nicht allein vom Ertragen von Schmerzen kommt. Sie kommt davon, zu wissen, wann man Unterstützung braucht, und den Mut zu haben, danach zu fragen.
Ich war bereit und habe mich meinen alten Wunden und meiner Trauer gestellt. Es sind heute Narben, die mich immer wieder mal daran erinnern, woher ich komme. Und das ist sehr gut so, denn ich weiß, wie weit mein Weg für mich war. So kann ich für andere Wege aufzeigen.
Heute kann ich spüren, wenn sich die alte Anspannung in meinen Schultern festsetzt. Dann halte ich inne, atme tief ein und aus und frage mich: „Was brauche ich gerade?“ Manchmal ist es eine sanfte Yoga-Sequenz, manchmal ein Gespräch mit einer Freundin, manchmal professionelle Unterstützung. Diese Selbstfürsorge ist kein Luxus mehr für mich – sie ist so selbstverständlich wie das tägliche Zähneputzen.
Am Ende braucht jede*r so lange wie sie oder er eben braucht.
Warum fällt es mir so schwer?
Um Hilfe zu bitten, bedeutet, private Dinge rauszulassen, die man lieber geheim halten würde. Es bedeutet unter Umständen, „das Innerste nach außen zu kehren“, und die persönlichsten, intimsten Lebensumstände der Wertung und dem Urteil anderer auszusetzen.
Stell dir vor, du sitzt im Wartezimmer einer Praxis und dein Herz klopft so laut, dass du denkst, alle können es hören. Deine Handflächen sind feucht, und du überlegst zum dritten Mal, ob du nicht einfach wieder gehen sollst. In deinem Kopf hörst du eine Stimme, die flüstert: „Was werden die anderen denken? Was, wenn ich mich lächerlich mache?“
Diese Schamgrenze zu überschreiten, erfordert Mut und Selbstbewusstsein, aber auch einen enormen Leidensdruck. Dieser Druck wird durch unseren Zeitgeist erhöht, der die Selbstwirksamkeit des Individuums in den Mittelpunkt rückt.
Es wird erwartet, dass du souverän dein Leben meisterst, dich ständig selbst optimierst, um kein*e Versager*in zu sein, erfolgreich bist und „weiterkommst“, dabei stark und unverletzlich bist. Du kennst diese Stimme vielleicht auch: Sie sagt dir, dass du dich nicht so anstellen sollst, dass andere es doch auch schaffen, dass du einfach positiv denken musst. Aber manchmal reicht positives Denken eben nicht aus – manchmal brauchst du echte Unterstützung.
Wann solltest du um Hilfe bitten?
Wenn du häufig traurig und bedrückt bist, Interesse an Dingen verlierst, die dir sonst Freude machen, oder dich länger schon überfordert fühlst, wäre es gut, dich jemandem anzuvertrauen.
Vielleicht merkst du, dass du morgens schon müde aufwachst, obwohl du geschlafen hast. Die Blumen auf dem Balkon, die du früher so gerne gegossen hast, stehen verwelkt da. Das Buch, das du vor Wochen angefangen hast, verstaubt auf dem Nachttisch. Selbst der Anruf deiner besten Freundin fühlt sich wie eine Herausforderung an.
Wenn du etwas Schlimmes erlebt hast und nun mit Angstzuständen, Albträumen, innerer Unruhe oder ähnlichen Folgen zu kämpfen hast, immer öfter zu Drogen, Alkohol oder Medikamenten greifst oder unter unerklärlichen körperlichen Symptomen oder Schmerzen leidest, kann dir professionelle Hilfe helfen.
Vielleicht spürst du auch, wie deine Nacken- und Schultermuskeln permanent verspannt sind, als würdest du unsichtbare Gewichte tragen. Oder dein Magen rebelliert ständig, obwohl dir der Arzt sagt, dass körperlich alles in Ordnung ist. Unser Körper ist ein weiser Lehrmeister, denn er zeigt uns oft lange vorher, dass etwas nicht stimmt.
Um Hilfe bitten fühlt sich wie Scheitern an
Okay, du hast erkannt, dass Hilfe jetzt wirklich nötig wäre und trotzdem traust du dich nicht. Gedanken wie „Andere haben es doch viel schlechter als ich!“ oder „So schlimm war XYZ dann doch nicht und es ist schon so lange her…“ halten dich davon ab.
Du hast vielleicht Angst, dass dich jemand dafür auslachen, zurückweisen oder bestrafen könnte. Du willst niemandem zur Last fallen oder aber es fühlt sich wie Scheitern an, wenn du das nicht alleine hinbekommst.
Du hast die Nummer schon gewählt, aber legst wieder auf, bevor es klingelt? Oder du tippst eine E-Mail, schickst sie aber nicht ab? Deine Finger zittern vielleicht, und in deinem Bauch breitet sich diese kalte Angst aus. „Was, wenn sie denken, ich bin verrückt? Was, wenn sie sagen, dass ich mich nicht so anstellen soll?“
Du siehst, es kann alles mögliche sein und offensichtlich geht es vielen Menschen so. Die Hürde ist da, aber was ist das?
Ich denke, dahinter stecken Gefühle von Scham; Angst davor, bedürftig, inkompetent oder schwach zu wirken; Angst jemandem etwas zu schulden; kein Vertrauen in andere Menschen zu haben aufgrund von schlechten Erfahrungen oder Enttäuschungen; oder die Angst, wenn ich mich bedürftig zeige, könnte ich von anderen gedemütigt werden…
Was, wenn es einfach gut wird?
Drehen wir den Spieß um und überlegen mal, was daran gut werden könnte, um Hilfe zu bitten:
- Du stärkst deine Beziehungen durch bessere Kommunikation deiner Bedürfnisse: Zeige dich, um gesehen zu werden. Stell dir vor, wie befreiend es sich anfühlt, wenn du endlich sagen kannst: „Mir geht es nicht gut, und ich brauche Unterstützung.“ Und dann erlebst du, wie jemand nickt, dich versteht und sagt: „Ich bin da für dich.“
- Du sparst Zeit und Energie, wenn du dich selbst besser kennenlernst. Anstatt stundenlang zu grübeln, warum du dich so fühlst, bekommst du Werkzeuge an die Hand. Du lernst, deine eigenen Muster zu erkennen und kannst rechtzeitig gegensteuern, bevor dich die nächste Krise überrollt.
- Mit mehr Möglichkeiten kannst du anders agieren und musst nicht immer nur reagieren. Mehr vom Selben führt nicht zu Veränderungen, nur etwas verändern führt zu Veränderung. Du brauchst neue Perspektiven, um auf deine Situation zu schauen und kannst auf dieser Grundlage souveräner entscheiden, was du machen möchtest.
Ich höre deinen Einwand: Manchmal möchte man auch einfach nur an die Hand genommen werden! Den Wunsch haben wohl fast alle Menschen, wenn es hart auf hart kommt. Wir sind aber leider nicht mehr im Paradies unserer Kindheit, in dem uns die Kleidung rausgelegt und die Brote geschmiert wurden.
Und ehrlich, das möchte ich auch gar nicht mehr!
Wie bittet man um Hilfe?
- Formuliere deine Bitte klar und deutlich und zeige dabei deine Wertschätzung. Wenn Menschen dir helfen sollen, möchten sie es wahrscheinlich richtig und gut machen. Wenn du unklar formulierst, bekommst du nicht, was du brauchst: Es fällt logischerweise deinem Gegenüber leichter, wenn du dein Anliegen klar aussprichst.
Konkret könnte das so aussehen: Du nimmst das Telefon in die Hand, atmest einmal tief durch und sagst: „Hallo, ich heiße… und ich brauche Unterstützung. Mir geht es seit einiger Zeit nicht gut, und ich möchte gerne einen Termin vereinbaren.“ Das ist alles. Mehr brauchst du am Telefon nicht zu sagen.
Menschen helfen meist gern, denn du gibst jemandem die Möglichkeit, seine Können zu zeigen und sich mit dir zu verbinden. Du musst dich also dafür nicht entschuldigen!
- Frag persönlich, denn nur so kann eine emotionale und persönliche Verbindung entstehen, die den anderen Menschen auch zugute kommt.
- Bereite dich innerlich vor: Überlege dir vorher, was du sagen möchtest. Schreib dir gerne Stichpunkte auf, falls du nervös wirst. Das ist völlig normal und zeigt, dass du dir Gedanken machst.
Manchmal ist der beängstigendste Schritt der, es einfach (oder schwer) auszusprechen. Das kann dir schon allein Erleichterung verschaffen, denn du behälst es nicht mehr alles in dir drin. Lass es raus!
Was bringt eine Therapie?
Im Idealfall baust du Klarheit, Stärke und Selbstachtung auf.
Für mich war die Therapie damals der Beginn meiner Reise zur psychischen Gesundheit. So wie ich ins Fitnessstudio gehe, um körperlich fit zu bleiben, gehe ich zur Therapie, praktiziere Yoga und Meditation und treffe mich mit Freunden, um mental und emotional widerstandsfähig zu bleiben. Das ist nicht etwas, das ich nur mache, wenn es mir schlecht geht. Es ist etwas, das ich nutze, um mich auf Situationen vorzubereiten, die unweigerlich kommen werden.
Heute erkenne ich die Warnsignale meines Körpers viel früher. Wenn meine Schultern sich verkrampfen, wenn mein Atem flach wird, wenn ich nachts wach liege und grübele, dann weiß ich: Hier brauche ich Aufmerksamkeit. Früher hätte ich das ignoriert, bis mein Körper mit Migräne oder Rückenschmerzen protestiert hätte. Heute nehme ich es wahr und handle.
Therapien sind nicht allein für kranke Menschen oder Katastrophen. Sie sind für uns alle, für die Ehrgeizigen, die Überforderten, die Unsicheren, die Müden, die Hoffnungsvollen, die Erfolgreichen und die Verletzten. Psychische Gesundheit muss gepflegt werden wie jedes gute Werkzeug. Es dient dazu, dich selbst besser zu verstehen, Widerstandsfähigkeit aufzubauen und die Art von Selbstbewusstsein zu entwickeln, um durchs Leben zu gehen, ohne dich selbst zu verlieren.
Ein Leben mit Hoffnung
Wenn du aufhörst, es vor dir selbst zu verstecken, beginnt deine Heilung. Und weißt du, was das Schönste ist? Du wirst wieder spüren können, wie sich Leichtigkeit anfühlt. Wie es ist, morgens aufzuwachen und sich auf den Tag zu freuen. Wie es sich anfühlt, wenn du dich selbst wieder magst und freundlich zu dir bist. Herrlich!
- Du wirst wieder lachen können, und zwar kein aufgesetztes Lächeln, sondern das echte, warme Lachen, das von innen kommt.
- Du wirst wieder neugierig auf das Leben sein und Pläne schmieden.
- Du wirst merken, dass du nicht mehr ständig müde bist, sondern Energie für die Dinge hast, die dir wichtig sind.
Das ist kein Märchen, es ist möglich, denn ich habe es selbst erlebt und sehe es jeden Tag bei den Menschen, die sich trauen, den ersten Schritt zu gehen. Du bist nicht allein mit dem, was du durchmachst. Und du verdienst es, dass es dir gut geht.
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